Nicht transparent, aber annähernd so hart wie Stahl, mit einer außerordentlichen Oberflächengüte und schon bei relativ niedrigen Temperaturen formbar wie Kunststoff: Das sind die Eigenschaften von metallischen Gläsern auf Platinbasis, die seit einigen Jahren am fem in Schwäbisch Gmünd erforscht und entwickelt werden. Gläser heißt diese Materialklasse, da sie im Unterschied zu herkömmlichen Metalllegierungen keine regelmäßige Kristallstruktur, sondern eine unregelmäßige bzw. amorphe Struktur wie Fensterglas aufweist. Daraus resultieren neben den bereits genannten Qualitäten auch Vorteile für die Herstellung von Schmuckstücken oder Uhrengehäusen: Im Vergleich zum konventionellen Verfahren können metallische Gläser auf Platinbasis bei Temperaturen geschmolzen und gegossen werden, die bis zu 1000 °C unter den üblichen Werten liegen. Und die typische Erstarrungsschrumpfung, die bei Platinschmucklegierungen einen Großteil des Ausschusses ausmacht, bleibt aus. Das spart nicht nur Geld und Ressourcen, sondern schont auch die Anlagentechnik.
In einem unlängst abgeschlossenen, im Rahmen der Industriellen Gemeinschaftsforschung vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Forschungsprojekt IGF 19979 N konnte das fem in Kooperation mit dem Lehrstuhl für metallische Werkstoffe der Universität des Saarlandes und acht Industriepartnern den Nachweis einer Eignung der Platingläser als Schmuckwerkstoff und für das Feingussverfahren erbringen. Für Lisa-Yvonn Schmitt, die seit Januar 2021 das Nachfolgeprojekt IGF 21469 N am fem koordiniert, kommt es nun darauf an, den Reifegrad des entwickelten Feingussverfahrens deutlich in Richtung industrielle Fertigung zu steigern: „Die Materialklasse der metallischen Gläser stellt ganz eigene und hohe Anforderungen an den Herstellungsprozess. Im Hinblick auf die zukünftige industrielle Nutzung arbeiten wir im neuen Projekt an der Optimierung des Prozesses. Wenn uns das gelingt, können wir die Defizite des konventionellen Platinschmuckgusses überwinden und neue Verarbeitungsmöglichkeiten aufzeigen.“ Die nickelfreien und hautverträglichen Platingläser würden Schmuckgestaltern eine ganz neue Designvielfalt eröffnen, denn dank der niedrigen Gießtemperaturen könnten Steine schonender miteingegossen werden. „Die thermoplastische Formbarkeit im Bereich von ca. 220 bis 270 °C ermöglicht außerdem sehr filigrane Gestaltungen der Oberflächen, z.B. feingliedrige Strukturen, mit denen Hologrammeffekte erzielt werden können“, so Schmitt.
Eine wesentliche technologische Hürde, die im laufenden Projekt überwunden werden soll, ist die hohe Abkühlrate. Grundvoraussetzung für eine amorphe Erstarrung der Platinschmelze ist eine sehr hohe Abkühlgeschwindigkeit; dauert die Erstarrung zu lange, kristallisiert die Schmelze. Mit anderen Worten: Es kommt nicht zur Bildung eines metallischen Glases. Gewöhnlich werden metallische Glasschmelzen in metallische Formen gegossen, da nur in ihnen die erforderlichen Kühlraten realisiert werden können. Für den Feinguss komplexer Schmuckteile aber sind phosphatgebundene Einbettmassen nötig. „Wir wollen den Prozess so optimieren, dass eine hinreichend schnelle Erstarrung auch in diesen Formen möglich sein wird“, erläutert Schmitt, die zuversichtlich in die Zukunft blickt: „Wenn uns in den kommenden zwei Jahren die ressourcenschonende Herstellung von dekorativen und funktionstragenden Platinteilen auf industriellem Niveau gelingt, haben wir das wichtigste Ziel erreicht.“
Bild: Im Feingießverfahren hergestellter amorpher Solitaire-Ring aus der Platinlegierung Pt42,5Cu27Ni9,5P21 (at%) (Bild: fem)